Energiewirtschaft und Politik am Beispiel Deutschlands größtem Strohheizkraftwerks BEKW

Veröffentlicht am 30.04.2020 16:31. Zuletzt geändert am 30.04.2020 16:59.

Emlichheim/ Twist | Wilhelm Pieper und seine Kollegen könnten noch mehr für die Energiewende tun und gleichzeitig dem Wunsch der Menschen nach selbstbestimmter, autonomer Energieversorgung entsprechen. Das mittelständische Unternehmen agrowea GmbH & Co. KG aus der Windkraftbranche entspricht auch beispielhaft dem von der Politik geforderten Projektierer, denen immer wieder eine prominente Gelegenheit für Optimismus, wie zuletzt auf der Fachtagung „Bürgerenergie eine Chance für die Zukunft!“ initiiert durch das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, geboten wird. Ein prüfender Blick der Erneuerbaren Szene auf das EEG 2017 lässt jedoch allenfalls einen Zwangsoptimismus aufkommen, aber nicht die wirtschaftliche Erschließung neuer Geschäftsfelder. Warum das so ist, wird im Gespräch mit Herrn Pieper, Geschäftsführer des BEKW deutlich. Herr Pieper, Sie betreiben bereits seit 2013 erfolgreich Deutschlands größtes Bioenergiekraftwerk (BEKW GmbH & Co. KG) und beschreiten den Königsweg der Kraft - Wärme - Kopplung, einem für die Energiewende in jedem Fall wertvolles Instrument zum Ausgleich der fluktuierenden Produktion von Windenergie. Eigentlich doch gute Voraussetzungen für den Ausbau eines virtuellen Kraftwerks, oder? Ja, angedacht haben wir die Zusammenschaltung von Windenergie und Strohheizkraft natürlich, weil es im Jahr 2010, als die Entscheidung zum Bau des Strohheizkraftwerks final fiel auch vernünftig und notwendig war. Seit dem EEG 2014 ist es wohl bestenfalls nur mehr notwendig. Was hat sich geändert? Mit Inkrafttreten des § 27a EEG ist die parallele Vermarktung von EEG-Strom rechtlich erschwert worden und ist wirtschaftlich nicht mehr darstellbar, sodass sich für uns die Situation ergeben hat, nur bis zu einer Leistung von fünf Megawatt eine auskömmliche EEG-Vergütung zu erhalten. Rentabel ist unser Projekt zwar immer noch, weil unsere Technologie hochentwickelt ist, aber nunmehr eben nicht rentabel genug, um den Impuls für weitere Anlagen dieser Art zu geben. Es ist im höchsten Ausmaß unverständlich und ärgerlich ein auf eine Maximalleistung von 10.6 Megawatt geplantes Kraftwerk in Teillast zu fahren, weil wir aus betriebswirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen sind, die Stromproduktion von 70 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr auf 45 Millionen zu deckeln. Auf der einen Seite wird in der politischen Debatte immer der Bedarf an flexibel planbaren Erzeugern suggeriert, in Wirklichkeit wird man aber mit der Qualifizierung als Lieferant von sogenannter negativer Minutenreserve abgespeist. Und um Ihnen noch die letzte Illusion einer ernsthaft gewollten Sektorenkopplung zu nehmen, sei noch gesagt, dass wir nicht einmal den eigenen Strom zur Nutzung einer Stromtankstelle auf unserem Gelände nutzen dürfen. Ich weiß nicht, was Sie denken, aber für uns sieht wirklicher politischer Wille zur Energiewende anders aus. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern? Ganz allgemein gesprochen, wäre es wünschenswert, wenn die Politik verlässlicher wäre. Man muss sich als Unternehmer im gewissen Rahmen darauf verlassen können, dass übermorgen noch gilt, was gestern gesagt wurde. Und im Speziellen? Die Biogasbranche, die zunächst durch eine auskömmliche Vergütung gefördert und dann dem freien Fall überlassen wurde, liefert ein abschreckendes Beispiel, wie schnell sich eine Unternehmung kaltstellen lässt. Ähnliche Szenarien lassen sich auch auf die Solar- und Photovoltaikbranche beziehen. Das neu eingeführte Ausschreibungsverfahren wird von uns Windbauern mit Vorbehalten betrachtet. Fakt ist, dass in der Windbranche gutes Geld verdient wurde, allerdings lassen solche Gewinne auch Möglichkeiten zur Weiterentwicklung innovativer Energielösungen zu, wie die Agrowea bereits bewiesen hat. Natürlich sind die im EEG festgelegten Vergütungen kein Dauerzustand und aus dem „Welpenschutz“ entlassen zu werden kann auch als Auszeichnung verstanden werden. Aber ohne gesetzlichen Spielraum, der beispielsweise zur Heranführung des Ökostroms in den Markt in Form von Teilkontingenten ganz elegant hätte einstudiert werden können, politisch aber offensichtlich ungewollt ist, geht es auch nicht. Eine Möglichkeit der Eigenvermarktung des Stroms wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch möglich, besonders wenn man in planvoller Voraussicht die nötigen Leitungen ohnehin schon gelegt hat, wie es in unserem Projekt der Fall ist. Oder nehmen wir noch einmal das Beispiel der Elektromobilität heran. Warum sollte man nicht den Ausbau der Elektromobilität im Zuge der Sektorenkopplung sprichwörtlich auf den Weg bringen? Mir scheint ganz allgemein die Dimension des allgemeinen Diskurses über die Energiewende und den Klimawandel überstrapaziert in Relation zu dem, was in Wirklichkeit bereits marktfähig realisiert worden ist. Ich empfehle da gerne immer einen Blick über die Landesgrenzen hinaus zu werfen. Zum einen ist Dänemark als vorbildlich zu nennen, wo Stroh längst eine etablierte Energiequelle ist, und zum anderen legen die Chinesen ein bemerkenswertes Tempo im Ausbau erneuerbarer Energien hin. Kurz gesagt, man sollte Potentiale, die ja durchaus ausreichend in Deutschland vorhanden sind, nicht ungenutzt lassen. Welche Potentiale sehen sie in Deutschland für die Zukunft? In Deutschland gibt es knapp 100 geeignete Standorte für weitere Strohheizkraftwerke. Jährlich fallen um die 35 Millionen Tonnen Stroh an, die, wenn man davon nach dänischem Beispiel nur ein Viertel energetisch nutzt, genug Rohstoff für 200 Kraftwerke bereitstellen würde. Energie, die einfach da ist, die ansonsten ungenutzt bleibt, die nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion steht. Energie aus einem klassischen Reststoff. Energiegewinnung aus Biomasse und insbesondere Stroh nimmt zumindest für die Stromerzeugung im Rahmen der Energiewende vielleicht nur einen Nebenkriegsschauplatz ein, kann aber einen Beitrag leisten. Zudem wird durch die Verbrennung von Stroh nur so viel 〖CO〗_2 freigesetzt, wie zuvor durch Photosynthese der Pflanzen in Form von Sonnenenergie gebunden wurde, der Verbrennungsprozess ist daher 〖CO〗_2 – neutral. Züchtungsfortschritte auf dem Gebiet der reinen Energiepflanzen werden den Biomassemarkt meiner Einschätzung nach auch nicht negativ beeinflussen. Ein ganz wichtiger Punkt ist wohl auch die Akzeptanz eines Strohheizkraftwerkes in der Bevölkerung und Naturschutzvereinen. Anders als bei vielen Windprojekten gab es vor Ort überhaupt keine Widerstände. Das ist in der Erneuerbaren Energie Branche auch nicht selbstverständlich. Klingt alles zu gut, um wahr zu sein. Gibt es keine Nachteile? Wichtig für den wirtschaftlichen Betrieb eines solchen Projektes ist ein großer Wärmeabnehmer. Zwar bringt der Stromverkauf mit 8,5 Millionen Euro im Jahr die höchsten Einnahmen - Dampf mit 3,5 Millionen und Nahwärme mit einer Million liegen deutlich dahinter - doch ohne die Wärme geht es schon aus formalen Gründen nicht, das EEG schreibt nämlich eine Wärmenutzung vor. In der entsprechenden Größenordnung sind solche Wärmekunden natürlich nicht überall vorhanden, zumal man ein derartiges Kraftwerk wegen der Rohstoffe eher im ländlichen Raum ansiedeln sollte. Aber wie gesagt, es wurden genügend Standorte evaluiert, die den Anforderungen entsprechen. Der Strohpreis kann aber doch schwanken und deshalb wie bei Gas die Stromproduktion unwirtschaftlich machen. Beispielsweise verdoppelte sich der Maispreis zwischen Sommer 2007 und Sommer 2008. Ist das Risiko, was natürliche Preisschwankungen von Inputstoffen birgt, nicht zu groß? Das Stroh kommt zwar überwiegend aus einem Umkreis von 200 Kilometern, es kann aber auch schon mal von weiter her angeliefert werden. Denn die Transportentfernungen sind nicht der entscheidende Kostenfaktor, vielmehr sind es die verfügbaren Ladekapazitäten. In manche Richtungen gibt es viele Leerfahrten, da werden dann Transporte sehr günstig angeboten. Zum Beispiel kann man aktuell aus England günstig Rohstoffe beziehen, weil viele Lkw deutsche Ware nach England liefern, die Nachfrage nach Transporten in Gegenrichtung aber geringer ist. Da kommt jeder noch so geringe Deckungsbeitrag den Spediteuren natürlich gelegen. Unsere Lagerkapazitäten in Emlichheim reichen für vier bis fünf Tage, damit sind wir zeitlich flexibler als viele produzierenden Unternehmen, die „just-in-time“ ihre Vorprodukte geliefert bekommen wollen. Solche Flexibilität senkt die Transportkosten. Wie setzt sich der Strohpreis ansonsten zusammen? Der Preis für das Stroh hängt an vielen Faktoren. Da der Rohstoff nur im Herbst anfällt, aber das ganze Jahr über benötigt wird, ist er im Herbst billiger, im Sommer am teuersten. Das hat wieder mit den Lagerungskosten zu tun. Aber unserer Erfahrung nach gibt es offenbar ausreichend ungenutzte landwirtschaftliche Hallen, viele Lieferanten übernehmen die Lagerhaltung. Durch das Kraftwerk hat sich so etwas wie ein Strohmarkt entwickelt, bisher war der Absatz von Stroh eher gering, im Vergleich zum Angebot. Die Preise sind weiterhin stabil. Pferdehalter und Gartenbaubetriebe, wie etwa die Champignonzucht sind ansonsten Strohabnehmer. Wie erklären sie sich den Unmut der Politik der hochentwickelten Technik den passenden Rechtsrahmen zu geben? Gäbe es nicht gute Ansatzpunkte innerhalb der neuerdings viel zitierten Bürgerenergiegesellschaften oder am Beispiel des Mieterstrommodells den Ausbau von Kraftwerken zu fördern? Ja, das haben wir anfangs des Jahres auch gehofft und für möglich erachtet. Jetzt kristallisiert sich jedoch heraus, dass es gewisse Hürden wie „räumliche Nähe“ oder eben weitere Deckelungen zu nehmen gibt, die uns für derlei Projekte leider bisher nicht qualifiziert. Wir versorgen in Emlichheim bereits mehr als 300 private Wohnhäuser und eine Klinikeinrichtung mit 130 Betten und noch einmal so vielen Altenwohnungen mit Wärme. Unsere Kunden sind zufrieden und beziehen Energie tatsächlich „regional, umweltfreundlich und klimaneutral“. Jetzt habe ich innovativ nicht erwähnt. Nun gut, mir scheint, dass diese ganzen „Wohlfühle – Attribute“ bereits sowieso von Unternehmen aller Couleur bis zur Bedeutungslosigkeit propagiert wurden. Übrigens ist das auch ein Problem der Politik, der Gesellschaft nachhaltig zu vermitteln, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, eben auch durch Verbraucherverhalten. Aber das ist natürlich für uns alle schwer konsequent durchzuziehen.
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