Die Stroh-Stromer aus dem Emsland

Veröffentlicht am 30.04.2020 16:43. Zuletzt geändert am 30.04.2020 16:51.

Emlichheim | Im Zuge der Energiewende wird verstärkt die bestehende Struktur von zentralen Großkraftwerken in Frage gestellt und kleinere dezentrale Einheiten angedacht, die sich näher an den Verbrauchsorten befinden sollen. In Emlichheim nahe der niederländischen Grenze wurde Deutschlands erstes Strohheizkraftwerk realisiert, das praktisch nicht dezentraler liegen könnte. Das BEKW bedient aber nicht nur das Merkmal der Dezentralität, sondern liefert mit einer maximalen Feuerungswärmeleistung von 49,8 Megawatt neben Strom auch ca. 130 Millionen Kilowattstunden Nutzwärme im Jahr, was in etwa 13 Millionen Litern Heizöl entspricht. Damit spielt die Anlage zwar nicht in der Liga der Großkraftwerke, obwohl die gleichen Vorschriften wie z.B. die der TA Luft für die Abgaswerte eingehalten werden, gleicht aber beispielhaft wirtschaftliche Nachteile im Vergleich zu größeren Kraftwerken, die allein schon vom Skaleneffekt profitieren, durch einen sehr hohen Wirkungsgrad wieder aus.   „Wir haben eine Verfügbarkeit von 98 Prozent“, sagt Matthias Pieper, technischer Betriebsleiter des BEKW. „Im Gegensatz zum z.B. Produktionsaufkommen der Windkraft, welches sehr stochastisch ist, können wir mit dem Strohheizkraftwerk, trotz sehr hoher Wirkungsgrade, planbar und kontinuierlich Strom erzeugen. Und das mit einem Nutzungsgrad von bis zu 90 Prozent.“ Voraussetzung für diesen wirtschaftlichen Betrieb in der Konstellation „kleine Anlage, hoher Wirkungsgrad“ ist natürlich der der Königsweg der Kraft-Wärme-Kopplung. Das Abfallprodukt der Strohverbrennung, die Abwärme, wird zur Wärmeversorgung genutzt. Für eine effiziente Kopplung ist jedoch auch eine gleichmäßige und stetige Wärmeabnahme Grundbedingung, die eine umsichtige Planung im Vorfeld erfordert, da diese sich auch in räumlicher Nähe zur Kraftwärmeanlage befinden muss. Im Fall von Produktionsbetrieben, wie Chemieunternehmen sind beide Bedingungen erfüllt, für Wohnsiedlungen trifft das nicht immer zu.   Ein großer Abnehmer des BEKW ist eine benachbarte Stärkefabrik, die aus dem Strohheizkraftwerk ihren Prozessdampf bezieht. Nahwärme wird außerdem an eine Klinikeinrichtung mit 130 Betten und 130 Altenwohnungen inklusive Therapieräumen und einem Ärztehaus auf 6,5 Hektar geliefert. Dirk Wortelen, Vorstand des Evangelischen Krankenhausvereins spricht von einer „reibungslosen Wärmeversorgung“, die das Strohkraftwerk bietet und die er natürlich auch braucht.  Am Kraftwerk gibt es daher zur Sicherheit auch einen Speichertank mit 4500 Kubikmetern Inhalt, zudem hat die per Dampfleitung angebundene Stärkefabrik ihre alte Wärmeversorgung auf Erdgasbasis nicht zurückgebaut. Ein Holzheizwerk auf dem Nachbargelände stünde im Notfall außerdem noch mit Wärme zur Verfügung. „Wir gewährleisten also eine N+3-Sicherheit und überlassen nichts dem Zufall“, erläutert Matthias Pieper.   Auch mehr als 300 Wohnhäuser werden durch das 15 Kilometer lange Wärmenetz versorgt, das das BEKW vorausschauend mit 10-kV-Leitungen und einem Invest von 200.000 Euro verlegen ließ. Dem guten Vorbild folgend wurden auch die Schule von Emlichheim und das Rathaus nicht nur ans Wärmenetz, sondern auch ans Stromnetz des Strohkraftwerks angeschlossen.   Auch was den Verbrennungsprozess betrifft, dürfen sich die Betreiber einer ausgefeilten Technik rühmen. Stroh enthält einen hohen Anteil an Asche (vier bis fünf Prozent) und hat zudem einen niedrigen Schmelzpunkt, der zwischen 750 und 800 Grad liegt. „Passt man nicht auf, kann sie bei herrschenden Temperaturen von 850 Grad im Feuerraum, beziehungsweise bis zu 1000 Grad über dem Rost, verglasen und den Betrieb gefährden oder irreparable Schäden verursachen,“ erklärt Pieper. In Dänemark, wo die in Emlichheim installierte Technik ihren Ursprung hat, wurde das Problem durch den Einsatz eines in Intervallen vibrierenden, abschüssig angebrachten Rosts gelöst, der zudem gekühlt wird und so das Anbacken von verglaster Asche verhindert. Eigenentwicklungen der Emsländer ergaben sich im Laufe des Betriebs bereits zwangsläufig bei der Abgastechnik. Da, wie bereits erwähnt, auch für ein Strohkraftwerk in Deutschland die TA Luft gilt, müssen hierzulande strengere Werte eingehalten werden als in anderen Ländern. Nun soll die TA-Luft sogar noch verschärft werden. Abgesehen von den Stickoxiden bestehen keine Probleme, doch die geplanten Anforderungen an die Nox sind ohne erhebliche Investitionen nicht erreichbar, was der Tatsache geschuldet ist, dass im Stroh im Vergleich zu anderen Brennstoffen mehr Stickstoff enthalten ist.  Matthias Pieper und sein Ingenieursteam zeigt sich ein wenig ratlos: „Man verlangt Abgaswerte entsprechend dem Stand der Technik – doch welches Projekt, wenn nicht unseres entspricht dem geforderten Stand der Technik?“   In der Lagerhalle des Kraftwerks, wo die Strohballen liegen, greift sich kontinuierlich ein Kran acht Ballen auf einmal und platziert sie auf das Förderband. „Von Freitag Mittag bis Montag Morgen läuft die Brennstoffzufuhr  vollautomatisch“, sagt Matthias Pieper beim Rundgang durch die Anlage. Mindestens zwei Personen sind stets in der Anlage, eine davon immer in der Leitwarte, wo man auf Bildschirmen einen Einblick in den Feuerraum erhält und auf Betriebsdaten Temperatur, Leistungswerte und Abgaskonzentrationen in Echtzeit. Die Schnüre der Ballen werden automatisch aufgetrennt und die Ballen zerkleinert. Die Qualität des Rohstoffs Stroh ist relativ homogen, Weizen oder Roggen, Triticale oder auch Mais – die Brenneigenschaften sind weitgehend identisch. Nur die Feuchtigkeit darf für einen reibungslosen technischen Ablauf nicht zu hoch sein, der wird vorher aber auch grundsätzlich ermittelt. Einzig fällt auf, dass Rohstoffe von der Küste etwas mehr Chlor enthalten, wegen der salzhaltigen Luft. Am Ende bleiben 3500t guter Dünger jährlich in Form von Rostasche, die Kalium und Phosphor enthält und als organisch-mineralischer Dünger zertifiziert ist. Schwermetalle reichern sich im Stroh aufgrund der kurzen Wachstumsperiode kaum an, anders als dies bei Holz der Fall ist. Alle kritischen Stoffe verbleiben in der Flugasche, wie beispielsweise Chlor und müssen als Sondermüll entsorgt werden. Dem technisch einwandfreien Prozess und dem wirtschaftlich gut geplanten Projekt scheint auf dem ersten Blick nichts im Wege zu stehen und Folgeprojekte müssten sich geradezu zwingend ergeben. Warum das dennoch in Deutschland nicht der Fall ist, erläutert Geschäftsführer Wilhelm Pieper im Gespräch. Die Planer und Betreiber des BEKW sind trotzdem überzeugt, dass der Ausbau von KWK- Anlagen einen wertvollen Baustein für ein „Schaffen“ der Energiewende darstellt und sind stolz sowohl technisch, wirtschaftlich als auch nachhaltig bereits auf dem richtigen Weg zu sein.
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